Tirol_kommunal_01_2017_WEB - page 37

Vom Wegehalter kann nicht verlangt
werden, eine Straße so zu warten,
dass absolut keine Gefahr einer Verei-
sung besteht. Um sich als Straßener-
halter vor einer allfälligen Inanspruch-
nahme durch Verunfallte abzusichern,
sind durch diesen Vorab-Prüfungs­
kriterien zu beachten:
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Ist die konkrete Gefahr für den auf-
merksamen Straßenerhalter schwer
oder leicht erkennbar?
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Wie hoch ist die objektive Wahr-
scheinlichkeit eines Schadens?
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Was ist im Einzelfall zur Abwehr
von Gefahren erforderlich, möglich
und zumutbar?
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Welche Maßnahmen (Weiß-
Schwarz-Räumung, Splitt-, Salz-
streuung, Umläufe) sind nach der
„Verkehrsauffassung“ bei objektiver,
sachkundiger Betrachtung „üblich“.
Das „Abklopfen“ sämtlicher Straßen-
züge im Betreuungsgebiet auf diese
Fragen ist Grundlage eines für alle
Verkehrsteilnehmer sicheren Winter-
dienstes und beugt für den Erhalter
unliebsamen Überraschungen vor.
Organisationsverschulden:
Darunter ist zu verstehen:
A) Unzureichende technische Infra­
struktur: in diesem Fall wären
– natürlich vor dem Winter –
zusätzlich Dritte zu beauftragen
(Frächter, Landwirte), die fehlende
Gerätschaften ergänzen.
B) Mangelhafte Organisation des
Winterdienstes (z. B. zu wenig
Personal beschäftigt, unzurei-
chende WD-Planung), daher in
der WD-Vorbereitung unbedingt
beachten:
1.) Einteilung der Straßenzüge
nach Wichtigkeit bzw. Verkehrs­
aufkommen (z. B. für Entschei-
dung ob Schwarz- oder Weiß-
räumung wichtig)
2.) Routen- und zeitliche Umlauf-
planung
3.) zusätzliches Personal bzw.
Beauftragung Dritter.
C) Mangelnde Dokumentation des
geleisteten Winterdienstes: Je
genauer diese Aufzeichnungen
geführt werden (schriftliche Doku-
mentation, GPS-Protokollierung der
Räum- Streu- und Kontrollfahrten;
festzuhalten ist die Route, der Zeit-
raum, die gestreute Menge und das
Streumaterial wie Splitt oder Salz),
desto leichter lässt sich der Nach-
weis eines ordnungsgemäßen Win-
terdienstablaufs im Streitfall nach-
weisen. Die schlechtesten „Karten“
hat, wer nichts dokumentiert!
Grundlage für die winterdienstliche
Betreuung von Straßen stellt die RVS
12.04.12 („Schneeräumung und Streu-
ung“ samt zugehörigen Arbeitspa-
pieren – „ergänzende Einweisungs-
unterlagen“; s. aber auch noch RVS
14.02.16: „Einweisungsunterlage für
das Winterdienstpersonal“) dar. Diese
RVS (Richtlinien und Vorschriften für
das Straßenwesen) werden von der
Forschungsgesellschaft Straße, Schie-
ne, Verkehr (FSV;
) her-
ausgegeben. Diese RVS ist als „Stand
der Technik“ anzusehen und wird im
Streitfall von den Gerichten als Maß-
stab der winterdienstlichen Betreuung
einer Straße angewendet, zumal sich
im Anhang 1 und 2 der RVS 12.04.12
das Anforderungsniveau für den Win-
terdienst auf verschiedenen Straßen-
zügen (Bundes- Landes- und Gemein-
destraßen) findet. Es wird daher jeder
Gemeinde empfohlen, sich mit diesen
RVS eingehend zu befassen.
Es ist jedoch zulässig, Streuung und
Schneeräumung einzustellen, wenn
sie durch ständigen Schneefall nutzlos
wird (nur dann wird eine ununter-
brochene Streuung und Räumung als
unzumutbar angesehen. ACHTUNG:
dies gilt nur bei extremen Verhältnis-
sen). Dies deckt sich auch mit den
Bestimmungen des Tiroler Straßenge-
setzes § 46 Abs. 3 lit. b.
Der Straßenmeister oder Winter-
dienst-Organisationsleiter der Gemein-
de kann bei Gefahr im Verzug (extr­
eme Wetterlage, Lawinengefahr) ein
vorübergehendes Fahrverbot ohne Ver-
ordnung erlassen, ist aber verpflichtet,
parallel die zuständige Bezirkshaupt-
mannschaft zu verständigen (Aufstel-
len des Verkehrszeichens Fahrverbot
gem. §44b StVO erforderlich!).
Zur Streu- und Räumpflicht von
Liegenschaftseigentümern im
Ortsgebiet nach § 93 StVO:
Umfang der Räum- und Streupflicht
siehe eingangs. Den verpflichteten
Anrainer trifft volle Haftung, d. h.,
das Privileg nach § 1319a ABGB
(beschränkt auf grobe Fahrlässigkeit)
gilt hier nicht, ein Anrainer haftet
daher auch für leichte Fahrlässigkeit!
Achtung: Für eine Gemeinde, die den
Winterdienst auch (teilwiese) auf
Gehsteigen durchführt, ist von beson-
derer Wichtigkeit, dass die faktische
Räumung und Streuung bestimmter
Gehsteige oder Gehwege durch die
Gemeinde über einen längeren Zeit-
raum zu gleicher Haftung wie der des
Anrainers führen kann (stillschweigen-
de Übernahme durch die Gemeinde).
Es empfiehlt sich hier, vor Beginn des
Winters die Gemeindebürger geson-
dert zu informieren, dass eine solche
Leistung nur nach Maßgabe der freien
Kapazitäten und freiwillig erfolgt und
daher die Verpflichtung des jeweiligen
Anrainers nach § 93 StVO nach wie
vor aufrecht ist.
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AUS DER PRAXIS
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